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ISO-GPS: Grundsätze (fundamentale Regeln) der GPS-Norm ISO 8015

Messtechnik/Koordinatenmesstechnik

Die DIN EN ISO 8015 wurde im September 2011 in einer neuen Fassung veröffentlicht.

  • Die Zuordnung im ISO-GPS-System wurde geändert.
  • Sie gehört jetzt zu den „fundamentalen“ Grundnormen und beeinflusst damit alle anderen Normen im ISO-GPS-System.
  • Sie gilt für alle Kategorien geometrischer Merkmale (Zeilen) und für alle Kettenglieder (Spalten) in der ISO-GPS-Matrix und somit für alle Personen in allen Fachbereichen, die mit der Spezifikation oder Verifikation von Bauteilen zu tun haben.

Grundlegende Annahmen für das Lesen von Spezifikationen auf Zeichnungen

Im Kapitel 4 der ISO 8015 wird darauf eingegangen,

  • dass die Festlegung der Funktionsgrenzen von Merkmalen an Bauteilen aufgrund von experimentellen und/oder theoretischen Untersuchungen festgelegt wurden und damit ohne Unsicherheit bekannt sind.
  • dass zur Interpretation die Toleranzgrenzen den Funktionsgrenzen entsprechen.
  • dass die Bauteile bei der Interpretation des Funktionsniveaus zu 100 % funktionieren, wenn sie innerhalb der Toleranzgrenzen liegen und nicht funktionieren, wenn sie außerhalb der Toleranzgrenzen liegen.

Quelle: www.quality-office.de

Da bei der Verifikation (Prüfung) der Werkstücke die erweiterte Messunsicherheit nach ISO 14253-1 zu berücksichtigen ist, ist es aus Konstruktionssicht nicht sinnvoll die Funktionsgrenzen weiter einzugrenzen („Angsttoleranzen“, „scheinbar erhöhte Sicherheit“).

Elementare ISO-GPS-Grundsätze nach DIN EN ISO 8015

Nachfolgend erhalten Sie eine detaillierte Übersicht der GPS-Grundsätze (ISO 8015, Kapitel 5):

5.1 Grundsatz des Aufrufens

Sobald ein Teilbereich des ISO-GPS-Systems oder Symbole zutreffender Normen in der Produktspezifikation (Maschinenbau) aufgerufen werden, gilt das gesamte ISO-GPS-System als aufgerufen und vereinbart.
Die Angabe „Tolerierung ISO 8015“ muss somit nicht mehr zwingend im Schriftfeld aufgeführt werden, um das Unabhängigkeitsprinzip (Standard, Kap. 5.5) anzuwenden.

Durch jede der folgenden Angaben in einer Zeichnung wird, durch das Aktivieren der entsprechenden GPS-Norm, das ISO-GPS-System aufgerufen und vereinbart. Komplementäre (ergänzende) GPS-Normen müssen jedoch explizit auf einer Zeichnung aufgerufen werden, wenn deren Regeln zur Anwendung kommen sollen. Allgemeine globale Angaben am Schriftfeld sind möglich.

Grundsatz des Aufrufens

Quelle: www.quality-office.de

5.2 Grundsatz der GPS-Normenhierarchie

Die Normen des ISO-GPS-Systems sind entsprechend anzuwenden. Werden keine individuellen Regeln festgelegt (vereinbart), gelten grundsätzlich die Regeln der höheren Normenebenen immer auch zusätzlich für die niedrigeren Normenebenen.

ISO-GPS-Normenhierarchie

  • Fundamentale ISO-GPS-Normen
  • Allgemeine ISO-GPS-Normen
  • Komplementäre ISO-GPS-Normen

5.3 Grundsatz der bestimmenden Zeichnung

Spezifikationsanforderungen, die nicht auf der Zeichnung (gesamte Dokumentation zur Spezifikation des Werkstückes) angegeben sind, können vertragsrechtlich nicht geltend gemacht werden. Diese Anforderungen können sich auf unterschiedliche Zustände (Rohteil, Bauteil mit Beschichtung …) beziehen. Diese sind bis auf den Fertigteil-Zustand entsprechend anzugeben.

Anmerkung: Spezifikationen, die auf andere rechtskonforme Art und Weise (zum Beispiel Werknorm, QS-Vereinbarung, Messabstimmung …) vereinbart werden, haben Gültigkeit und bilden eine Ausnahme.

5.4 Grundsatz des Geometrieelementes

                                                                                                                                                                    Beispiel 1:

Grundsatz des Geometrieelementes

Quelle: www.quality-office.de

Wenn nicht anders angegeben, gilt jede
GPS-Spezifikation nur für ein einziges Geometrieelement oder für eine einzige
Beziehung zwischen Geometrieelementen.

Änderungen für Teilbereiche, Querschnitte, Längsschnitte
(Lang-Strich-Zweipunktlinie, ACS, Hinweispfeile …) oder für kombinierte Bereiche
(CZ, Hinweispfeile …) aus mehreren Geometrie¬elementen müssen angegeben werden.

ACS – any cross section (jeder beliebige Querschnitt)
CZ – combined zone (kombinierte „Toleranz“-Zone)

 

Beispiel 2: 

Grundsatz des Geometrielementes

Quelle: www.quality-office.de

5.5 Grundsatz der Unabhängigkeit

Wenn nicht anders angegeben, muss jede GPS-Anforderung (Toleranz, Spezifikation, Modifikator …) an ein Geometrieelement oder eine Beziehung zwischen Geometrieelementen unabhängig von anderen Anforderungen erfüllt werden (Tolerierungsgrundsatz „Unabhängigkeitsprinzip“). Ausnahmen können durch entsprechende GPS-Modifikationssymbole (CZ, {, µ, Modifikationssymbole, Modifikationssymbole…) eingetragen werden.

Grundsatz der Unabhängigkeit

Grundsatz der Unabhängigkeit

Quelle: www.quality-office.de

Die wirksamen Maße (MMVS) sind nach diesen Vorgaben toleranzhaltig und können nicht reklamiert werden!

5.6 Grundsatz der Dezimaldarstellung

Nicht angegebene Dezimalstellen in GPS-Normen und auf Zeichnungen sind Nullen. Beispiele: 12,5 = 12,5000… oder ± 0,3 = ± 0,3000…

5.7 Grundsatz der Standardfestlegung

Grundsatz der Standardfestlegung

Quelle: www.quality-office.de

Standardspezifikationsoperatoren (Beispiel: Zweipunktgrößenmaß Zweipunktgrößenmaß) werden durch die GPS-Normen festgelegt und sind somit nicht unmittelbar in einer Zeichnung sichtbar. Durch die Verwendung von Modifikationssymbolen (Beispiele: { Hüllbedingung,Hüllbedingung  Pferchmaß,Pferchmaß  Hüllmaß …) auf einer Zeichnung können die Standardoperatoren (default-Definitionen) geändert werden.

Das Zweipunktgrößenmaß 30 ±0,1 mm (Abstand zweier gegenüberliegender Punkte) wird senkrecht zur Gauß-Mittelebene erfasst.

Anmerkung: Änderungen für Hüllbedingung, gemeinsame Toleranzzone, Kunden- oder unternehmensspezifische Spezifikationen und so weiter müssen durch entsprechende Angaben in der Zeichnung am jeweiligen Merkmal oder in der Nähe des Schriftfeldes vorgenommen werden.

5.8 Grundsatz der Referenzbedingungen

GPS-Spezifikationen gelten bei der Standardreferenztemperatur (20°C) nach DIN EN ISO 1 und bei nicht verschmutztem Werkstück. Andere zusätzliche Bedingungen (Reinheit, Feuchtigkeit …) müssen auf einer Zeichnung angegeben werden. Die Standardreferenztemperatur (20°C) ist in der DIN EN ISO 1 für dimensionelle und geometrische Eigenschaften für die Verifikation von Werkstücken und für die Kalibrierung von Messsystemen international vereinbart. Andere Referenztemperaturen (zum Beispiel für Kunststoffformteile nach ISO 291) müssen bei Bedarf auf der Zeichnung angegeben werden.

5.9 Grundsatz des starren Werkstücks

Grundsatz des starren Werkstücks

Quelle: www.quality-office.de

GPS-Spezifikationen gelten für Werkstücke mit theoretisch unendlich großer Steifigkeit in freiem Zustand ohne Verformungen durch äußere Kräfte, die zum Beispiel durch Spannkräfte oder die Schwerkraft entstehen können.

Andere zusätzliche Bedingungen für nicht-formstabile Bauteile (zum Beispiel „Messen in freiem Zustand ≅“ nach
ISO 10579) müssen auf einer Zeichnung angegeben werden. Dazu gehören die Aufspannregeln, die Schwerkraftrichtung und die Angabe eines Bezugssystems bei Richtungs- und Ortstoleranzen.

5.10 Grundsatz der Dualität

Durch Spezifikationsoperatoren (Zeichnungsangaben) werden die Messgrößen für die Spezifikationen von Geometrieelementen, unabhängig von einem Messsystem oder einem Messverfahren, vollständig und eindeutig vom Konstrukteur angegeben. Mehrdeutigkeiten werden dadurch beseitigt.

Verifikationsoperatoren werden bei der Prüfplanung so festgelegt, dass sie den Spezifikationsoperatoren ausreichend nahekommen. Sie beschreiben die Art und Weise (Prüf-, Messmethode, Messsystem…) wie Spezifikationsoperatoren überprüft werden. Vorhandene Verfahrensunsicherheiten (Messunsicherheiten) sind entsprechend (ISO 14253-1) zu berücksichtigen.

5.11 Grundsatz der Funktionsbeherrschung

Die Funktionen eines Werkstückes sind durch die Angaben zutreffender GPS-Spezifikationsoperatoren (Funktionsoperatoren) vollständig zu beschreiben. Mehrdeutigkeiten sind von der Konstruktion zu verantworten (siehe Kap. 5.13).

Zur Gewährleistung der Funktionsbeherrschung werden die Funktionsoperatoren durch die Spezifikationsoperatoren und diese entsprechend durch die Verifikationsoperatoren angenähert

5.12 Grundsatz der allgemeinen Spezifikation

Für alle Merkmale eines Geometrieelementes oder Beziehungen zwischen Geometrieelementen, für die keine individuelle GPS-Spezifikationen festgelegt wurden, gelten die angegebenen allgemeinen GPS-Spezifikationen (default-Definitionen), die in den relevanten Normen (globale Angaben wie zum Beispiel ISO 2768, ISO 8062, ISO 20457, ISO 22081, DIN 2769 …) festgelegt und in der Nähe des Schriftfeldes angegeben sind.

Wenn mehrere allgemeine Spezifikationen angegeben wurden, die widersprüchlich (mehrdeutig) zueinander sind, müssen erklärende Formulierungen ergänzt werden. Wird keine Erklärung formuliert, gilt die toleranteste (größte) Spezifikation. (Siehe auch DIN 30630:2008 – Allgemeintoleranzen in mechanischer Technik – Toleranzregel und Übersicht)

5.13 Grundsatz der Verantwortlichkeit

Die Verantwortung für die vollständigen und eindeutigen Angaben der GPS-Spezifikationsoperatoren (Funktionsoperatoren) liegt beim Konstrukteur. Er hat mehrdeutige Auslegungen zu verantworten.

Die Festlegung geeigneter Verifikationsoperatoren und Messsysteme wird unter Berücksichtigung der vorhandenen Messunsicherheit (siehe ISO 14253-1) von dem Fachbereich verantwortet, welcher den Nachweis der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit den Spezifikationen führt (Qualitätssicherung, Prüfplanung, Fertigungsüberwachung, Wareneingang …).

Zur Gewährleistung der Funktionsbeherrschung werden die Funktionsoperatoren durch die Spezifikationsoperatoren und diese entsprechend durch die Verifikationsoperatoren angenähert.

Kapitel 6.3 Abgewandelte standardmäßige GPS-Spezifikation

Wenn Normen, Regelwerke oder andere Festlegungen zur Anwendung kommen, die keine ISO-GPS-Normen sind, kann dies als abgewandelter Standard zum Beispiel durch folgende Angaben in der Nähe des Schriftfeldes eingetragen werden.
Tolerierung ISO 8015 Abgewandelte Standardmäßige GPS-Spezifikation  1 DIN EN ISO 291:2008-08-23/50-Class 2
Tolerierung ISO 8015 Abgewandelte Standardmäßige GPS-Spezifikation  2 Werknorm 38.415.2011-02
Sind mehrere Angaben erforderlich, müssen sie nummeriert werden. „AD“ bedeutet „altered default“ (abgewandelter Standard)

Kapitel 8 Regeln für eingeklammerte Angaben

Eingeklammerte Angaben dienen nur zur Information und stellen keinen wesentlichen Teil der Spezifikation (Anforderung an das Bauteil) dar. Die Regel aus der ISO 8015 sollte zwischen den Vertragspartnern genau vereinbart werden, weil hier nicht die Art und Form der Klammer festgelegt ist.
Wie auch in anderen Normen (z.B. ISO 129-1) beschrieben, sollte man sich auf runde Klammern einigen. Diese Maße werden dann als Hilfsmaße bezeichnet.

 

Der Autor Manfred Weidemann ist DGQ-Trainer und Geschäftsführer von Quality Office. Quality Office betreut seit über 25 Jahren kleine und mittelständische Unternehmen in den Bereichen Qualitätsmanagement, Prozessoptimierung, Zeichnungsprüfung und Längenprüftechnik/Fertigungsmesstechnik.

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